Nahrungsergänzungsmittel schneiden oft schlecht ab, wenn die Studienlage genau beleuchtet wird. Glucosamin wird als Mittel gegen schmerzende Gelenke viel verwendet, ohne dass die Wirkung nachgewiesen wäre. Doch überraschender Weise könnte es das Leben verlängern, wie Der Standard berichtet.
Zeitungsartikel: | Glucosamin als Jungbrunnen (9.4.2014, Der Standard) | |
Frage: | Verlängert Glucosamin das Leben? | |
Antwort: | möglicherweise Ja | |
Erklärung: | Zwar steht die Forschung hier noch am Anfang und es gibt neben Grundlagenstudien nur eine Kohortenstudie am Menschen, die zeigt jedoch mögliche Effekte. Weitere Studien mit besseren Methoden und anderen Gruppen von Teilnehmern sind notwendig. |
Nahrungsergänzungsmittel werden oft auch ohne Wirkungsnachweis echte Verkaufsschlager. Glucosamin ist in den USA ohne Rezept erhältlich und hat sich den Ruf erworben, die Gelenkfunktion zu verbessern. Es wird daher in den USA von mehr als sieben Prozent aller älteren Menschen genommen [2]. Auch der Artikel im Standard behauptet, dass Glucosamin bei der Knorpelregeneration hilft, auch wenn die Studienlage dazu etwas anderes sagt, wie wir erst kürzlich beschrieben haben: Gelenke schmieren mit Nahrungsergänzungsmitteln
Von Mäusen und Menschen (und Fadenwürmern)
Erfahrene medizin-transparent-Leser wissen, dass Tierstudien mit Vorsicht zu genießen sind und die Ergebnisse nicht direkt auf den Menschen übertragen werden dürfen. Genau das passiert allerdings wieder einmal beim Artikel über Glucosamin als Lebensverlängerer: Die angesprochene Studie wurde an Nematoden (Fadenwürmern) und Mäusen durchgeführt und bei denen führte Glucosamin zu einer verlängerten Lebensspanne [1]. Zudem führten die Forscher zahlreiche Messungen und genetische Untersuchungen an den Versuchstieren aus, um dem möglichen Mechanismus auf die Spur zu kommen, der zu einem längeren Leben dank Glucosamin führt.
Dabei fanden sie einige Übereinstimmungen, also Abläufe, die bei den Mäusen und bei den Fadenwürmern sehr ähnlich funktionieren. Der Schluss der Forscher: Wenn Glucosamin bei zwei so unterschiedlichen Arten die gleiche Wirkung hat und diese Abläufe auch beim Menschen denkbar sind, dann wird Glucosamin mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Lebenserwartung beim Menschen verlängern. Das ist nicht prinzipiell falsch, aber eben spekulativ. Nur klinische Studien am Menschen können zeigen, ob das wirklich so ist.
Ja, mit vielen Einschränkungen
Es existiert zu dieser Fragestellung eine Kohortenstudie am Menschen: Eine erste Auswertung hat sich 2010 den Einfluss von 20 Vitaminen oder Nahrungsergänzungen auf die Lebenserwartung angeschaut [3]; von diesen 20 zeigten nur Glucosamin und Chondroitin einen möglichen Zusammenhang mit der Lebenserwartung. Also analysierten Forscher in einer weiteren Studie 2012 gezielt Glucosamin und Chondroitin [2]. Die beiden Mittel werden oft gemeinsam verabreicht und sollen unter anderem entzündungshemmend wirken. Die Forscher spekulieren, dass Glucosamin eben dadurch die Lebenserwartung verlängert, wie es ähnlich auch bei Aspirin festgestellt wurde [2].
Beide Auswertungen zeigen einen in etwa gleich großen Effekt, sie reduzierten das Sterberisiko im Zeitraum der Studiendauer um rund 13 Prozent [2][3]. Beispielsweise war die Zahl der Todesfälle durch Krebs und Atemwegserkrankungen bei jenen Teilnehmern, die Glucosamin nahmen, geringer. Es geben sich beide Studien sehr viel Mühe, andere Einflussfaktoren auszuschließen – so werden unter anderem Alter, Geschlecht, Bildung, Krankengeschichte und Ernährungsgewohnheiten berücksichtigt. Da es aber nie möglich ist, alle Einflussfaktoren zu kennen, haben Kohortenstudien grundsätzlich keine so starke Aussagekraft wie etwa randomisiert-kontrollierte Studien.
Viele offene Fragen
Die Tierstudie, die gefundenen Mechanismen und die Ergebnisse der beiden Kohortenstudien passen gut zusammen, dennoch ist die Suppe dünn: Die beiden Auswertungen [2][3] wurden vom gleichen Team gemacht und an der gleichen Auswahl an Teilnehmern. So wurden im Grunde die Ergebnisse aus der Studie von 2010 in der nächsten Studie wieder an der gleichen Gruppe von Menschen überprüft [3]. Auch wenn das eine große Gruppe war (über 77000 Teilnehmer), ist das wissenschaftlich nur wenig aussagekräftig. Es wäre notwendig, dass andere Forscherteams die Wirkung von Glucosamin auf die Lebenserwartung anhand anderer Teilnehmergruppen erforschen. Bis dahin bleibt die lebensverlängernde Wirkung von Glucosamin eine optimistische Spekulation mit geringer Beweislage.
(Autoren: J. Wipplinger, B. Kerschner, C. Christof)
Ähnliche Artikel
Information zu den wissenschaftlichen Studien
[1] Weimer u.a. (2014)
Studientyp: Tierversuch an Fadenwürmern (C. elegans) und Mäusen
Fragestellung: Wie verändert D-Glukosamine die Lebensspanne von C. elegans und Mäusen
Weimer S, Priebs J, Kuhlow D, Groth M, Priebe S, Mansfeld J, Merry TL, Dubuis S, Laube B, Pfeiffer AF, Schulz TJ, Guthke R, Platzer M, Zamboni N, Zarse K, Ristow M. D-Glucosamine supplementation extends life span of nematodes and of ageing mice. Nat Commun. 2014 Apr 8;5:3563. (Studie in voller Länge)
[2] Bell u.a. 2012
Studientyp: Kohortenstudie
Teilnehmer: 77510, von denen im Beobachtungszeitraum 5362 verstarben
Fragestelllung: Einfluss von Glucosamine und Chondroitin auf die Sterblichkeit?
Mögliche Interessenskonflikte: Keine angegeben.
Bell GA, Kantor ED, Lampe JW, Shen DD, White E. Use of glucosamine and
chondroitin in relation to mortality. Eur J Epidemiol. 2012 Aug;27(8):593-603. (Studie in voller Länge)
[3] Pocobelli ua 2010
Studientyp: Kohortenstudie
Teilnehmer: 77719, von denen im Beobachtungszeitraum 3577 verstarben
Fragestelllung: Einfluss von Nahrungsergänzungsmitteln auf die Sterblichkeit?
Mögliche Interessenskonflikte: Keine angegeben.
Pocobelli G, Kristal AR, Patterson RE, Potter JD, Lampe JW, Kolar A, Evans I, White E. Total mortality risk in relation to use of less-common dietary supplements. Am J Clin Nutr. 2010 Jun;91(6):1791-800. (Studie in voller Länge)
Weitere wissenschaftliche Quellen
[4] Medizin Transparent (2014). Glucosamin bei Gelenksproblemen.