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Korallen-Kalzium: Meereswunder oder Marketing-Gag?

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Korallen: schön, aber auch gesund?

Korallen: schön, aber auch gesund?


Ein Nahrungsergänzungsmittel von den japanischen Okinawa-Inseln verheißt, einer Reihe von Zivilisationskrankheiten vorzubeugen. Doch es gibt keine Belege für die angeblich gesundheitsfördernde Wirkung des Korallen-Kalziums.

 
 

 

Frage: Ist Korallen-Kalzium sicher und wirksam bei der Vorbeugung von Krankheiten?
Antwort: unklar
Erklärung: Es gibt keine gut gemachten Studien mit menschlichen Probanden, die sich mit dem Nutzen und den Risiken von Korallen-Kalzium beschäftigen.

Korallen-Kalzium: Methusalems Geheimnis?

Auf der japanischen Inselgruppe Okinawa werden besonders viele Menschen 100 Jahre alt. Der Rest der Welt fragt sich: Wie kommt es zu dieser außergewöhnlich hohen Lebenserwartung?

Es sind wohl mehrere Faktoren, die das lange Leben auf Okinawa begünstigen. Dazu zählen beispielsweise Ernährung, Bewegung, sozialer Zusammenhalt, eine funktionierende Gesundheitsversorgung, eventuell auch genetische Besonderheiten und eine gewisse Beschaulichkeit im Alltag – also ein komplexes Zusammenspiel von Kultur und Natur.

Das Meer ist ein Jungbrunnen – laut Marketing

Von Okinawa stammt auch das so genannte Korallen-Kalzium, es ist die Bausubstanz der dort vorkommenden Riffe. Die fossilen Korallenstöcke bestehen in erster Linie aus Kalziumkarbonat, normalerweise einfach ‚Kalk’ genannt. Außerdem ist etwas Magnesium im Korallen-Kalzium enthalten. Schwermetalle wie Blei und Quecksilber wurden auch schon in Spuren nachgewiesen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den vielen Hundertjährigen auf Okinawa und dem Korallen-Kalzium? Schließlich soll es reichlich im Trinkwasser vorhanden sein. Glaubt man so manchem Marketing-Versprechen, dann ist eben dieser spezielle Mineralstoff der Schlüssel für das gesunde und lange Leben der Japaner von Okinawa.

Das nach seinem Abbau pulverisierte Korallen-Kalzium gibt es schon seit Jahren außerhalb Japans zu kaufen. Es soll zur Vorbeugung von vielen weit verbreiteten Leiden taugen. Krebs, Herzerkrankungen, Diabetes, Multiple Sklerose und weitere ernsthafte Erkrankungen sollen dadurch verhindert werden. Angeblich. [1] [3]

Keine seriösen Studien

Hilft das Korallen-Kalzium wirklich bei der Vorbeugung von diversen Krankheiten? Wir haben keine Studien mit menschlichen Probanden gefunden, die uns eine seriöse Einschätzung ermöglicht hätten.

Es liegt also nahe, dass die Versprechungen in Bezug auf Korallen-Kalzium unangemessen sind – die überzogenen Werbeslogans hat übrigens auch schon die amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA kritisiert. [1]

Unser Fazit:

  • Wir können nicht sagen, ob Korallen-Kalzium einen präventiven Nutzen hat, also wirksam ist bei der Vorbeugung von diversen Krankheiten.
  • Mangels Vergleichsstudien ist nicht belegt, inwiefern Korallen-Kalzium eine andere Wirkung zeigt als ‚normales’ Kalzium, das wir mit Lebensmitteln oder in Form von gängigen Nahrungsergänzungsmitteln aufnehmen.
  • Besonders plausibel erscheint dies jedenfalls nicht.
  • Zu möglichen Risiken konnten wir ebenfalls keine Informationen finden.

Kalzium hält gesund

Zum Kalzium aus herkömmlichen Quellen, also aus Essen und Ergänzungspräparaten, gibt es allerdings eine Reihe von Studien. Das Mineral ist entscheidend für den Aufbau und den Erhalt von stabilen Knochen und Zähnen. Außerdem ist Kalzium wichtig für die Funktion von Blutgefäßen, Muskeln und Nerven.

Kalzium steckt normalerweise ausreichend in der Nahrung, wenn die Ernährungsweise abwechslungsreich und ausgewogen ist. Rund 1000 Milligramm Kalzium sollten gesunde Erwachsene normalerweise täglich zu sich nehmen, Frauen nach der Menopause 1200 Milligramm. [5] [8]

Vom Teller oder aus der Kapsel?

Milch, Käse, Joghurt sowie manche Fisch- und Gemüsesorten zählen zu den Lebensmitteln, die dabei helfen, den täglichen Bedarf ohne extra Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln zu decken. Manche Fruchtsäfte, Sojaprodukte und Frühstückszerealien sind zu diesem Zweck mit Kalzium angereichert.

Bei einem erhöhten Bedarf oder bestimmten Krankheiten kann es sinnvoll sein, Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen. Jedoch greifen gerade Gesundheitsbewusste ohne Beschwerden recht gern zu den Präparaten – in der Hoffnung, sich etwas Gutes zu tun. Die Mittel enthalten das Kalzium meistens in Form von Kalziumkarbonat oder dem teureren Kalziumzitrat. [4] [9]

Zu viel des Guten

Viel hilft nicht unbedingt viel. Das gilt auch für frei erhältliche und manchmal ziemlich kostspielige Nahrungsergänzungsmittel. Nicht nur, dass ihr Nutzen oft gar nicht erwiesen ist – den Konsumenten sind mögliche Risiken häufig gar nicht bewusst.

Zu viel Kalzium kann zu Verstopfung oder zur Bildung von Nierensteinen führen. Auch Wechselwirkungen mit bestimmten Medikamenten sind möglich; deren Aufnahme und Wirksamkeit kann durch das Kalzium verändert werden. [2] [4]

Mineralische Vorbeugung?

Die Rolle, die Kalzium-Nahrungsergänzungsmittel bei der Vorbeugung von Krankheiten spielt, ist umstritten. Auch langfristige Studien haben widersprüchliche Ergebnisse geliefert.

Es ist also nicht klar, ob die Einnahme von Kalziumpräparaten im Allgemeinen überhaupt einen Nutzen hat bzw. wie groß dieser ist. Vielleicht profitieren nur bestimmte Personengruppen davon.

Möglicherweise schützt eine höhere Versorgung mit Kalzium vor Darmkrebs. Auf der anderen Seite könnte sich das Risiko für Prostatakrebs erhöhen. [6]

Gutes Kalzium, schlechtes Kalzium?

Außerdem wird diskutiert, ob bzw. welche Rolle Kalzium bei der Entstehung von weit verbreiteten Herz-Kreislauf-Krankheiten spielt. Die aktuelle Datenlage lässt keine eindeutigen Schlüsse zu. Es ist daher (noch) nicht möglich, Empfehlungen abzuleiten. Mögliche Schutz- oder Schadwirkungen sollten durch gut gemachte Langzeitstudien fassbar werden.

Es gibt Studien, die auf einen gewissen Nutzen hindeuten. So scheinen scheinen Kalzium-Präparate einigen Studien zufolge den Blutdruck senken zu können – allerdings nur bei Menschen mit ohnehin normalen Blutdruckwerten. Ob auch Personen mit überhöhtem Blutdruck profitieren, ist fraglich. Andere Untersuchungen wiederum deuten darauf hin, dass das Herzinfarkt-Risiko durch Kalzium-Präparate steigen könnte. Und es gibt Studien, in denen sich wiederum gar keine relevanten Effekte abzeichneten.

Mehr Forschung ist also notwendig, um diese wichtigen Fragen noch besser zu beleuchten – immerhin nehmen viele Frauen Kalzium-Präparate, um brüchigen Knochen durch Osteoporose gegenzusteuern. Gut gemachte Studien sollen genauer beleuchten, welche Risiken durch Kalzium-Präparate tatsächlich bestehen, welche Mengen eventuell negative Effekte auslösen können und welche Personengruppen eventuell eher gefährdet sind als andere. Bevor hier bessere Daten vorliegen, scheint es empfehlenswert, Nahrungsergänzungsmittel nur maßvoll und in Absprache mit dem Arzt einzunehmen. [5] [7] [10]

Erfahren Sie mehr!

Über Sinn und Unsinn von Vitamin- und Mineralpräparate haben wir bereits in der Vergangenheit berichtet, zum Beispiel in diesen Beiträgen: ‚Vitamintabletten – gesund oder gefährlich?’ und ‚Cholesterin senken durch Vitamine und Spurenelemente?’.

 

Die Studien im Detail

Es gibt keine gut gemachten Studien mit menschlichen Probanden, die sich mit dem Nutzen und den Risiken von Korallen-Kalzium beschäftigen.

(Autoren: J. Harlfinger, B. Kerschner, C. Christof)

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Ähnliche Artikel

 

 

Wissenschaftliche Quellen

[1] Blumberg (2004)
Blumberg S. Is coral calcium a safe and effective supplement? J Am Diet Assoc. 2004 Sep;104(9):1335-6. (Zusammenfassung)

[2] IQWIG (2014)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – IQWIG (2014). Osteoporose vorbeugen. Abgerufen am 3.9.2015 unter www.Gesundheitsinformation.de

[3] Marcason (2003)
Marcason W. What is the lowdown on Coral Calcium? J Am Diet Assoc. 2003 Oct;103(10):1319. (Zusammenfassung)

[4] NIH (2013)
National Institutes of Health – NIH (2013). Calcium – Dietary Fact Sheet. Abgerufen am 1.9.2015 unter ods.od.nih.gov

[5] UpToDate (2015)
Calcium and vitamin D supplementation in osteoporosis. Abgerufen am 2.9.2015 unter www.uptodate.com

[6] UpToDate (2015)
Cancer prevention. Abgerufen am 2.9.2015 unter www.uptodate.com

[7] UpToDate (2015)
Diet in the treatment and prevention of hypertension. Abgerufen am 2.9.2015 unter www.uptodate.com

[8] UpToDate (2015)
Healthy diet in adults. Abgerufen am 2.9.2015 unter www.uptodate.com

[9] UpToDate (2015)
Patient information: Calcium and vitamin D for bone health (Beyond the Basics). Abgerufen am 1.9.2015 unter www.uptodate.com

[10] Cormick u.a. (2015)
Cormick G, Ciapponi A, Cafferata ML, Belizán JM. Calcium supplementation for prevention of primary hypertension. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Jun 30;6:CD010037. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)


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